AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

50 jahre hochschullehre und forschung
antonio alexandre bispo


gestaltungskräfte
in musik und stadt

neue sachlichkeit




ernst toch

1887-1964

rückblicke

lehrveranstaltungen in brasilien

fakultät für musik und kunsterziehung des musikinstituts são paulo
fachbereiche ästhetik, wahrnehmung, strukturaktionstheorie
fundamente der expression und kommunikation des menschen

1970-1974

vorausgehende studien und initiativen

zentrum für forschungen in musikologie
gesellschaft neue diffusion ND 1968

museum zeitgenössischer kunst der universität são paulo 1968
fakultät für architektur der universität são paulo 1968
internationale kurse von curitiba 1968-1970
musikseminare der bundesuniversität bahia 1969


Text basierend auf Niederschriften der Lehrveranstaltungen zu Musikästhetik und kulturwissenschaftlich orientierter Musikwissenschaft von A. A. Bispo an den Universitäten Bonn und Köln 2002-2008.

Die Publikation The Shaping Forces in Music: An Inquiry into Harmony, Melody, Counterpoint, Form (New York: Criterion Music Corp., 1948) des österreichischen Musikforschers und Komponisten Ernst Toch, der zu dieser Zeit in Santa Monica, California, lebte, wurde im Fach Strukturation (Strukturationstheorie) im Fachbereich Ästhetik der Fakultät für Musik und Musikerziehung des Musikinstituts São Paulo von 1972 bis 1974 studiert und diskutiert. An den Debatten nahmen Studenten der Komposition der Fakultät teil.


Das Studium theoretischer Ansätze in den Musikstudien war als eine notwendige Aufgabe im Rahmen der Bewegung zur Erneuerung von Denk- und Sichtweisen, die Mitte der 1960er Jahren in São Paulo einsetzt. Dieses Anliegen wurde als eine Notwendigkeit für einen reflektierten Umgang mit musiktheoretischen Lehrinhalten, Methoden und Auffassungen zu Melodie, Rhythmus, Metrik, Harmonie, Kontrapunkt, Form u.a. erkannt. Die Diskussion entfachte sich in den Fachbereichen Musiktheorie und Analyse des 1968 gegründeten Centro de Pesquisas em Musicologia ND.


Mit der Einführung des Faches Estruturação bei der Lizentiatur in Musikerziehung wurde diese Debatte auf Hochschulebene fortgesetzt. Zu den ersten Aufgaben des Studiums der Strukturationstheorie gehörte die Besprechung von Publikationen zu musiktheoretischen Fragen. Die Auseinandersetzung mit dieser Literatur war notwendig, da die verwendeten Lehrmethoden im Verlaufe der zweiten Hälfte der 1960er Jahren als überholt erschienen. Die bis dahin verwendeten Publikationen brasilianischer und italienischer Autoren zu Musiktheorie, Harmonielehre und Formenlehre wurden ersetzt. Das Trainingsbuch von Paul Hindemith (1895-1963) wurde allgemein eingeführt und beeinflusste Auffassungen und musikerzieherische Praktiken. Die Funktionsharmonie setzte sich durch.


Von den besprochenen Autoren und Werken wurde im Fach Estruturação einleitend What To Listen for in Music, das 1939 veröffentlicht wurde (New York: McGraw-Hill Book Co., Inc.), besprochen. Aaron Copland (1900-1990), der durch Übersetzungen in Brasilien nicht nur als Komponist bekannt ist, behandelte Grundelemente der Musik und gab Vorschläge zum verständigen Musikhören. Am wichtigsten war jedoch die Auseinandersetzung mit Auffassungen von Paul Hindemith, dessen Werke im Musikleben besonders berücksichtigt wurden und der als der Vertreter schlechthin neuer Methoden zur Aneignung von musiktheoretischen und praktischen Grundlagen galt. Von ihm wurde in englischer Übersetzung studiert The Craft of Musical Compositions (2 Bde., übers. Otto Ortmann, New York: Associated Music Publishers, 1941)


Die Studierenden der Strukturationstheorie sollten sich mit den Lehrmethoden auseinandersetzen und sie in dem Kontext betrachten, in dem sie entstanden sind. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf ihre Autoren, ihr Leben, ihre Auffassungen, ihr Schaffen und ihre Wirkung sowie auf die Netzwerke, in denen sie sich verbreiteten. Auch die Verbreitung dieser Publikationen in Brasilien sollte zurückverfolgt und analysiert werden.


Dieses Anliegen war vor allem für Musikerzieher von Bedeutung, da sie in ihrer Unterrichtspraxis Musikwerke zu Gehör bringen und erläutern sollten. Die Literatur zur Apreciação musical war vielfach veraltet. In ihr wurden Kommentare zu Musikwerken oft mit hermeneutisch gemeinten, poetisierenden Deutungen versehen. Ein Bedürfnis nach Überwindung dieser willkürlichen Deutungen, nach Objektivität, nach nüchterner Annäherung war vorherrschend. Bei der Besprechung der in Gebrauch gekommenen Werke sollte ins Bewusstsein gebracht werden, dass dieses Anliegen nicht neu war.