AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

50 jahre hochschullehre und forschung
antonio alexandre bispo



gesangsästhetik

& gesamtamerikanisches ideal



eladio pérez-gonzález

1926-2020


rückblicke

lehrveranstaltungen in brasilien
1970 - 1974

fakultät für musik und kunsterziehung des musikinstituts são paulo
fachbereiche ästhetik, ethnomusikologie und
fundamente der expression und kommunikation der menschen



vorausgehende studien und initiativen


zentrum für forschungen in musikologie
gesellschaft neue diffusion ND 1968

museum zeitgenössischer kunst der universität são paulo 1968

konzert und vorträge im theater anchieta SESC 1969

stiftung der künste von s. caetano do sul 1970

interamerikanisches institut für musikwissenschaft, montevideo 1970


Die Beschäftigung mit ästhetischen Problemen des zeitgenössischen Musikschaffens im Fachbereich Ästhetik der Fakultät für Musik und Kunsterziehung des Musikinstituts São Paulo beschränkte sich nicht auf Brasilien, sondern war übernational interamerikanisch ausgerichtet. Die Führung der Studien in enger Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Ethnomusikologie erforderte und begünstigte die Berücksichtigung der Entwicklung des Denkens in anderen Ländern Süd-, Mittel- und Nordamerikas. Bereits die Einführung der Ethnomusikologie im Lehrplan der Hochschule entsprach der Rezeption von Entwicklungen in Forschung und Lehre aus den USA in Lateinamerika, wofür das Institut für Musikthnologie in Caracas besonders bekannt war. Dennoch fügte sich diese gesamtamerikanische Orientierung der Studien an der Fakultät in eine besondere Entwicklung des Denkens und der Kooperationen ein.


Der Blick über die Grenzen Brasiliens hinaus war ein Charakteristikum der Bewegung für die Neuorientierung der Kultur- und Musikstudien, die in den 1960er Jahren in São Paulo einsetzte und 1968 zur Gründung der Gesellschaft Nova Difusão mit dem Zentrum für musikwissenschaftliche Forschungen führte. Die geforderte Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesse verlangte grenzüberschreitende Denk- und Sichtweisen in all ihren Aspekten. Interaktionen mit Europa, Afrika und vor allem mit den anderen Ländern Amerikas traten in den Mittelpunkt der Überlegungen und Debatten, die grundsätzlich gegenüber den nationalistischen Auffassungen der Musikliteratur und Musikästhetik Brasiliens kritisch eingestellt waren.


Die Bestrebung zur Überwindung von Betrachtungsweisen nach nationalen Grenzen in den Kultur- und Musikstudien erforderte die Stärkung des Bewusstseins, dass die prozessorientierte sozial- und kulturwissenschaftliche Forschung nicht nur die Beziehungen Brasiliens zu Europa, sondern vor allem auch den Gesamtkontext des amerikanischen Kontinents bei allen Unterschieden berücksichtigen sollte.


Die panamerikanische Idee blickte auf eine alte Tradition in Brasilien zurück. Gedacht wurde stets an die kulturdiplomatische Reise des Komponisten Oscar Lorenzo Fernández (1897-1948) nach Kolumbien und andere Länder Mittel- und Südamerikas in den 1930er Jahren, bei der die Bedeutung Brasiliens zur Annäherung lateinamerikanischer Länder maßgeblich beitrug. In der Musikforschung war die interamerikanische Bewegung vor allem mit dem Namen von Francisco Curt Lange (1903-1997) verbunden, der das Interamerikanische Institut für Musikwissenschaft in Montevideo gründete und leitete. Mit seinen Forschungen und Publikationen zur Musik der Kolonialzeit Brasiliens und vor allem durch das von ihm herausgegebene Lateinamerikanischer Musikbulletin trug er maßgeblich zur Verbreitung eines gesamtamerikanischen Bewusstseins bei. In den 1960er Jahre schien es aber notwendig, die interamerikanische Bewegung in manchen ihrer Einstellungen zu überdenken, zu aktualisieren und neu zu beleben. Dieses Anliegen wurde hinsichtlich der historischen Musikforschung in Besprechungen mit dem Dirigenten Olivier Toni (1926-2017) im Rahmen der Nova Difusão betont und führte u.a. zur Veranstaltung des Barock-Festivals 1970 in São Paulo. Hinsichtlich des zeitgenössischen Musikschaffens wurden die Diskussionen vor allem mit dem Sänger Eladio Pérez-Gonzáles geführt.


Geboren in Paraguay, wo er im Ateneo Paraguaio seine Ausbildung erhielt, hatte er sich in Brasilien Ende der 1940er Jahren niedergelassen, wo er eine internationale Studien- und Konzertlaufbahn mit Auftritten in den USA und in europäischen Ländern begann. Sein besonderes Interesse galt der zeitgenössischen Musik. Anregungen gewann er bei Teilnahme an den Festivals zur Neuen Musik in Donaueschingen und Darmstadt.


In Europa und Brasilien setzte er sich für die Verbreitung des Liedschaffens von Komponisten des Kontinents ein. Da viele dieser Liedkompositionen Gitarrenbegleitung erforderten, trug er auch maßgeblich zur Aufwertung der Gitarre als Konzertinstrument bei. Ein Markstein in seiner Laufbahn war die Tonaufnahme bei Columbia der 7 Spanischen Lieder von Manuel de Falla (1876-1946) in einer Fassung für Klavier und Gitarre von Miguel Liobet (1878-1938), die er 1968 in Paris realisierte. In Brasilien setzte er sich für das Schaffen von A. Theodoro Nogueira (1913-2002) ein, der in seinen Kompositionen die traditionelle Viola verwendete, und brachte er oftmals in Konzerten seine Suite Sertaneja n° 1 zu Gehör. Verständlicherweise trug er vor allem zur Verbreitung von Werken von Komponisten aus Paraguay sowohl in Europa als auch in Brasilien bei. Zu diesen gehörte Nicolas Pérez -González (1927-1991), der in Assunción, Buenos Aires und São Paulo Studien durchführte und dessen 3 Juguetes rotos er bei verschiedenen Anlässen interpretierte.


Beim I. Musikfestival von Guanabara trat Eladio Pérez-González als Solist mit dem prämierten Werk Pequenos Funerais Cantantes von José Antonio de Almeida Prado (1943-2010) auf sowie als Rezitator des Ciclo da Fábula des argentinischen Bandeonspielers Rufo Herrera (1933-) auf, der ebenfalls nach Brasilien umgesiedelt war.













Text basierend auf Niederschriften der Lehrveranstaltungen zu Musikästhetik und kulturwissenschaftlich orientierter Musikwissenschaft von Prof. Dr. A. A. Bispo an den

Universitäten Bonn und Köln 2002-2008

Text basierend auf Niederschriften der Lehrveranstaltungen zu Musikästhetik und kulturwissenschaftlich orientierter Musikwissenschaft von Prof. Dr. A. A. Bispo an den Universitäten Bonn und Köln 2002-2008

Ein Markstein dieser neuen Phase der gesamtamerikanischen Bestrebungen der Erneuerung des Liedrepertoires im Rahmen der Nova Difusão war ein Konzert mit dem Titel Canções das Américas, das am 20. August 1969 im Teatro Anchieta in São Paulo von ihm und  Paulo Affonso de Moura Ferreira aufgeführt wurde.


Vertreten wurden im Programm Komponisten aus Argentinien, Kuba, Paraguay, den USA, Brasilien, Equador, Venezuela und Mexiko. An erster Stelle stand Alberto Ginastera (1916-1983) mit 5 Canciones populares argentinas (Chacarera, Triste, Zamba, Arroro, Gato). Es folgte Amadeo Roldan (1900-1939) mit Motivos de son (Nicolas Guillén), Mi chiquita, Ayé me dijeron Negro, Tú no sabe inglé, Si tú supiera. Paraguay war vertreten durch Nicolas Pérez-González mit Kyjhá und Emilio Bigi (1914-1969) mit Guapo, mi viejo buey (N. Romero V.). Mit Aaron Copland (1900-1990) wurde den USA gedacht mit Old american songs, The boatmen's dance, Long time ago und I bought me a cat.


Der zweite Teil des Programms wurde mit Kompositionen von Jamary Oliveira (1944-2020) aus Bahia eröffnet. Von ihm wurden in Uraufführung die 4 poemas opus nada sowie Estudos 56 e 63 (Antonio Brasileiro), Um minuto de silêncio por motivo justo und Explosium (Antonio Brasileiro) vorgetragen. Es folgten Werke von Gerardo Guevara aus Equador (1930-) – Geografia (J.Carrera Andrade), Yaravi (Cesar Monroy), Apamuy shungo (G. Guevara) – sowie Antonio Estevez (1916-1988) aus Venezuela mit El ordeñador und Polo doliente (Aquiles Názoa). Das Programm wurde abgeschlossen mit Werken des mexikanischen Komponisten Silvestre Revueltas (1899-1940) – Canción de cuna (F. Garcia-Lorca), Serenata (F. Garcia-Lorca) und Caminando (Nicolas Guillén).


Im Anschluss fand eine Gesprächsrunde über die Bedeutung und Entwicklung der Musik für Gesang in Lateinamerika und in lateinamerikanischen Kreisen in den USA und in Europa, insbesondere in Frankreich, statt. Besprochen wurde der Stellenwert der vertonten Texte für die Analyse von Denk- und Sichtweisen in der Musikforschung. Hervorgehoben wurde für die Gesangskunst Lateinamerikas die Bedeutung von Frederico Garcia-Lorca (1898-1936) für die Lyrik Spaniens und des Dichters Nicolás Guillén (1902-1989) aus Kuba für die Aufwertung des Afrokubanischen.


Die Zusammenarbeit mit Eladio Pérez-González setzte sich 1970 an der Stiftung der Künste in São Caetano do Sul fort, wobei sich die Aufmerksamkeit auch auf andere Kunstformen der verschiendenen Länder des Kontinents ausweitete. Diese Studien und Überlegungen prägten die Auseinandersetzung mit der Musik amerikanischer Länder im Fachbereich Ästhetik und Ethnomusikologie der Musikfakultät ab 1972. Sie führten zur Vorbereitung einer Kontakt- und Forschungsreise nach Uruguay für Besprechungen am Interamerikanischen Institut für Musikwissenschaft. Diese fand 1973 statt und führte zu einem Kolloquium in Punta del Este.



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