AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

50 jahre hochschullehre und forschung
antonio alexandre bispo


technik
& musikästhetik




henk badings

1907-1987



rückblicke

lehrveranstaltungen in brasilien
1970 - 1974

fakultät für musik und kunsterziehung des musikinstituts são paulo
fachbereiche ästhetik, ethnomusikologie und
fundamente der expression und kommunikation der menschen



vorausgehende studien und initiativen


zentrum für forschungen in musikologie
gesellschaft neue diffusion ND 1968

fakultät für architektur der universität são paulo 1968

fachbereich akustik

stiftung gaudeamus und donemus, Niederlande


Die Bewegung Nova Difusão, die zur Erneuerung von Denk -und Sichtweisen in Kultur- und Musikstudien Mitte der 1960er Jahren entstand, trat seit ihrer Konstituierung als Gesellschaft mit dem Zentrum für musikwissenschaftliche Studien 1968 in Kontakt zu europäischen und nordamerikanischen diplomatischen Vertretungen, um durch Beziehungen zu Institutionen und Persönlichkeiten der verschiedenen Länder Anschluss an internationale Tendenzen des Schaffens und des Forschens zu finden. Die Niederlande gehörten zu den Ländern, die mit Informationen und Materialien am meisten zu diesen Bestrebungen beitrugen.


Die Gaudeamus Foundation und Donemus unterstützten diese Studien, und dementsprechend wurden Kontakte zu Komponisten und Musikforschern der Niederlande geknüpft, was auch zur verstärkten Auseinandersetzung mit deren Werken und Schriften führte.  


Auch im Fachbereich Ästhetik an der Fakultät für Musik und Kunsterziehung des Musikinstituts São Paulo wurden Auffassungen und Sichtweisen niederländischer Denker und Musiker besprochen. Diese besondere Aufmerksamkeit ergab sich auch aus der Tatsache, dass die Niederlande durch ihre Kolonialvergangenheit enge Beziehungen zu außereuropäischen Regionen besaßen.


Auch Brasilien blickte in seiner Geschichte auf die holländische Präsenz im Nordosten des Landes in ferner Vergangenheit zurück, und die niederländischen Kolonien waren auch in der Gegenwart in São Paulo in vielerlei Hinsicht von besonderer Bedeutung. Dazu zählte die 1948 von katholischen Migranten aus Nord-Brabant gegründete Stadt Hollambra in der Region von Campinas im Hinterland von São Paulo.














Diese Beziehung zu Kolonial- und Migrationsfragen begründete das besondere Interesse für die Niederlande im Fachbereich Ästhetik der Musikfakultät, zumal die Studien in Zusammenarbeit mit derEthnomusikologie durchgeführt wurden. Musikforscher und Komponisten aus den Niederlanden hatten durch Herkunft und Lebenserfahrungen besonderer Beziehung zur außereuropäischen Welt, vor allem auch zu Indonesien. Wenn in der Ethnomusikologie besonders an Jaap Kunst gedacht wurde, so spielte aus der Perspektive der Ästhetik der Komponist Henk Badings eine besondere Rolle.

Hendrik Herman Badings ist in Bandung auf der Insel Java im ehemaligen Niederländisch-Indien geboren und siedelte als Waisenkind von dort in die Niederlande um. Sein Vater, Herman Louis Johan Badings, war Offizier der Ost-Indischen Armee. Eine auf Kolonialprozesse gerichtete Geschichte europäischer Präsenz in Indonesien und ihrer Rückwirkungen in den Kolonialländern kann damit Henk Badings nicht unberücksichtigt lassen.


Die Beschäftigung mit seinem Leben, Schaffen und Denken legte besonderen Wert auf seine Beziehung zur Technik und zu den technologischen Wissenschaften, ein Thema, das in der ästhetischen und wissenschaftstheoretischen Diskussion in São Paulo um 1970 besonderes Interesse weckte. Er studierte in den 1930er Jahren an der Technischen Hochschule in Delft, wurde Ingenieur mit Schwerpunkt Bergbau und Assistent an der Fakultät für Historische Geologie und Paläontologie. Er reihte sich damit in die Liste von Geologen und Paläontologen ein, die sich auch für Kultur- und Musikstudien interessieren und die auch für die Wissenschafts- und Kulturgeschichte Brasiliens seit dem 19. Jahrhundert von Bedeutung sind. In musikalischer Hinsicht wurde besonders die Ausbildung berücksichtigt, die er von Willem Pijper (1894-1947), dem Dirigenten des Concertgebouw-Orchesters, erhielt.


Er wurde 1934 Dozent für Komposition am Konservatorium von Rotterdam und war ab 1935 am Konservatorium in Amsterdam tätig. Auch der Dissenz zu Pijper, der zu der Entfernung beider führte, sowie die Impulse, die er von Paul Hindemith (1895-1963) erhielt, wurden besprochen.


Als ehemaliger Leiter des Laboratoriums von Philips und als Dozent für Akustik und Elektronische Musik an der Universität Utrecht war er seit Anfang der 1960er Jahren in der Abteilung für Akustik der Fakultät für Architektur der Universität São Paulo bekannt. Elektronische Musik wurde damals punktuell in Konzerten und Festspielen zur Avantgarde berücksichtigt, sofern dies die technischen Mittel in Brasilien erlaubten.


In Musikkreisen São Paulos war Henk Badings vor allem als Professor für Komposition an der Musikhochschule Stuttgart und als Komponist angesehen, dessen Werke in Konzerten zusammen mit Kompositionen zeitgenössischer „germanischer Komponisten“ aufgeführt wurden.


In diesem Zusammenhang wurde auch der Vorwurf, Badings hätte mit den deutschen Besatzern kollaboriert, thematisiert. Als Leiter des Königlichen Konservatoriums in Den Haag soll er 1941 bei der Entfernung des ehemaligen jüdischen Leiters aus dem Amt mitgewirkt haben, zum Mitglied des Niederländischen Kulturrats ernannt und wegen dieser Kollaboration nach Kriegsende vom Konservatorium entlassen worden sein.


Badings wurde zu verschiedenen Anlässen im Zentrum für Forschung in Musikologie, bei Konzerten deutscher Musik in der Waldorf-Schule São Paulos sowie bei der Fakultät für Musik und Musikerziehung des Musikinstituts von S. Paulo berücksichtigt.

Eine besondere Aufmerksamkeit wurde im Rahmen der Ausbildung von Musiklehrern seinem Werk Arcadia gewidmet, eine in mehrere Bände gefasste Sammlung leichter Klavierstücke für zwei und vier Hände für den Unterricht. Dieses Interesse erklärt sich durch die damaligen Forderungen nach einer Erneuerung der Klaviermusik in São Paulo, die auch zum Schaffen von Kompositionen für den Klavierunterricht führte, wie u.a. von Heitor Alimonda (1922-2002) in São Paulo und Ernst Widmer (1927-1990) in Bahia. Arcadia entstand zwischen 1945 und 1967. Die Analysen gingen von Arcadia V (Prelude, Sarabande, Canzonetta, Elegie, Fünf Schwarze Tasten, Mazurka, Enigma, Illusione, Jogo, Rondo Finale) aus. Diese Besprechungen wurden u.a. im Rahmen eines Konzerts, das in der Fakultät am 21. Oktober 1972 stattfand, geführt.


Text basierend auf Niederschriften der Lehrveranstaltungen zu Musikästhetik und kulturwissenschaftlich orientierter Musikwissenschaft von A. A. Bispo an den Universitäten Bonn und Köln 2002-2008