AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

50 jahre hochschullehre und forschung
antonio alexandre bispo


build up
bild und musik in der konsumgesellschaft





rogério duprat

1932-2006



rückblicke

lehrveranstaltungen in brasilien
1970 - 1974

fakultät für musik und kunsterziehung des musikinstituts são paulo
fachbereiche ästhetik, ethnomusikologie und
fundamente der expression und kommunikation der menschen



vorausgehende studien und initiativen


zentrum für forschungen in musikologie
gesellschaft neue diffusion ND 1968

lehrprojekt für massenkommunikation in der konsumgesellschaft

und show build up, XIII FENIT 1970 mit kolloquien in mehreren hauptstädten brasiliens

In der zweiten Hälfte von 1970 wurde eine großangelegte Show veranstaltet, die wichtige Anregungen zu Neuorientierungen des Denkens über Kultur- und Musikprozesse lieferte. Sie wurde als Show der Dekade gepriesen und als ein gemeinsames Unternehmen der Firmen Bino-Ford, Block Editores, Burroughs, Caloi, Esso, Lancray-Rhodia, Old Eight Whisky und Petroquímica União in Produktion von Roberto Palmari (1934-1992) realisiert, die von Abelardo Figueiredo (1931-2009) koordiniert wurde.


Die Veranstaltung sollte zu einem wichtigen Markstein nicht nur für die Geschichte der Popularmusik, sondern für die Entwicklung der Kulturwissenschaft insgesamt werden. An ihr nahmen Modelle, namhafte brasilianische Popularsänger, Komiker und Akteure der Unterhaltungsbranche, aber auch ausgebildete Dirigenten und Musiker teil. Zu den Popularmusikern zählten u.a. Jorge Ben und Tim Maia (1942-1998) sowie die junge Rita Lee, die im Verlaufe und durch die Show zum Star lanziert und promoted werden sollte. Eine wichtige Rolle spielte der Gitarrist Lanny Gordin mit dem Lany’s Quartett, der für die Tropicalia und überhaupt für die Rockmusik in Brasilien in den 1960er und 1970er Jahren von herausragende Bedeutung war. Wie er kam auch das Trio Mocotó aus der Musikszene der Nachtclubs von São Paulo, eine Band, die 1968 im angesagten Nachtclub Jogral gegründet worden war.


Für die Show wurden spezielle Ensembles gebildet, wie die Barroquíssimos mit Musikern, die sich der alten Musik widmeten. Mit dem Coral Crioulo fügte sich die Show in eine Bewegung zur Antidiskriminierung und Aufwertung afrobrasilianischer Kultur nach den Idealen der Négritude ein; das Chormitglied Eduardo de Oliveira e Oliveira sollte am 27. Juni 1971 das Zentrum CECAN – Centro de Cultura e Arte Negra – mitgründen, das von Thereza Santos (1938-2012) in Rio de Janeiro entworfen worden war. Dazu nahmen an der Show nicht nur Tänzer teil, sondern auch Unterhalter wie Isamael Guiser (1927-2008) und die Komiker Piolin und Big e Ben. Für die Choreographie war Isamael Guiser zuständig, die Musikleitung oblag Rogério Duprat (1932-2006) und Diogo Pacheco (1921-).


Bereits ihr Name – Build up electro show – beschrieb die die Show tragenden Leitgedanken und Absichten. Sie war mehr als eine Fashion-Show, die neue Modekreationen vorstellte. Sie wurde zunächst im Rahmen der internationalen Messe der Textilindustrie – FENIT – im Ibirapuera-Park in São Paulo über mehrere Wochen aufgeführt und ging somit primär vom Gedanken der industriellen Produktion von Mode aus, die verkauft werden sollte; dementsprechend attraktiv gestaltet sollte deren Konsum mit Mitteln von Präsentation, Performance und Werbung gefördert werden. Das Entstehen eines Stars – Rita Lee – sollte performt, dargestellt und zelebriert werden.


Nach mehrere Wochen in São Paulo wurde die Show in Rio de Janeiro, Salvador, Recife und anderen Städten des Nordostens sowie in Brasilia, Belo Horizonte, Curitiba und anderen Hauptstädten des Südens aufgeführt. In diesen vielen Monaten ergab sich die Gelegenheit zu Gedankenaustausch von Vertretern der Nova Difusão wie dem Dirigenten José Carlos de Azevedo Leme mit anderen Show-Teilnehmern, vor allem mit Juca Chaves (1938-), Rita Lee und Rogério Duprat.


Insbesondere bot die einwöchige Präsenz der Show im Theater Manchete in Rio de Janeiro Anlass zu Debatten über die Konzepte der Veranstaltung und ihre theoretische Ansätze. Die Gedanken und Überlegungen wurden in einer Sonderausgabe der Illustrierten Manchette veröffentlicht (961, 19. September 1970). Es wurde einleitend hervorgehoben, dass der Terminus Build Up eine Verbum-Natur des Ansatzes suggeriert und als Zeitwort oder Tätigkeitswort die Vorgänge, das Geschehen, den Bewegungscharakter der Produktion unterstrich. Im Mittelpunkt der Überlegungen stand die Werbung und die Welt der kommerziellen Propaganda in der Konsumgesellschaft. Die Werbungsindustrie suchte nach einem Star für ihre Ziele, die in der Gestalt von Rita Lee gefunden wurde. In dieser Welt der Werbung würde nichts von sich aus entstehen oder geboren, sondern produziert, gemacht. Bei der Show Build Up handelte es sich um die alltägliche Fabrikation exklusiver Produkte. Der Terminus wollte in diesem Sinne die Schaffung eines Images bezeichnen, das Konstruieren eines Produktes, Dienstes oder in diesem Fall einer Person/Figur in einer Weise, die leicht zu assimilieren und zu konsumieren ist. So gesehen war die Show ein Lehrstück für Massenkommunikation, das ohne schwerfällige Theoretisierungen oder schwer nachvollziehbare Gedankengänge seine Ziele erreichte.


Wie die Aktivisten der Nova Difusão bei den Gesprächen hervorhoben, entsprachen diese Ansätzen im weiten Sinn denjenigen des Anliegens nach einer prozessorientierten Kultur- und Musikforschung in Forschung und Praxis. Auch bei Build up ging es um die Überschreitung von Grenzen von E- und U-Musik, von Durchlässigkeit aller Trennungsmembranen zwischen ethnischen, sozialen und kulturellen Kompartimenten in regionalen, nationalen und internationalen Dimensionen. Auch hier ging es um Propaganda, Werbung und somit um Diffusionsprozesse.




Text basierend auf Niederschriften der Lehrveranstaltungen zu Musikästhetik und kulturwissenschaftlich orientierter Musikwissenschaft von A. A. Bispo an den Universitäten Bonn und Köln 2002-2008