AKADEMIE FÜR KULTUR- UND WISSENSCHAFTSWISSENSCHAFT

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES

ISMPS

neue diffusion
ein dokumentationsprojekt

50 jahre hochschullehre und forschung
antonio alexandre bispo



bühnen- & musikästhetik



herbert baumann

1925-2020



rückblicke

lehrveranstaltungen in brasilien
1970 - 1974

fakultät für musik und kunsterziehung des musikinstituts são paulo
fachbereiche ästhetik, ethnomusikologie und
fundamente der expression und kommunikation



vorausgehende studien und initiativen


zentrum für forschungen in musikologie
gesellschaft neue diffusion ND 1968

museum zeitgenössischer kunst der universität são paulo 1968

fakultät für architektur der universität são paulo 1968

stiftung der künste von s. caetano do sul 1970

kreis cavalo azul – vilém flusser und dora ferreira da silva 1971


Die enge Beziehung zwischen den Fachbereichen Ethnomusikologie und Ästhetik an der Fakultät für Musik und Musikerziehung des Musikinstituts São Paulo seit 1972 und die gegenwartsbezogene Perspektive ermöglichten und förderten die Berücksichtigung von Themen in Forschung und Lehre, die in konventionellen Institutionen unbeachtet blieben. Dazu zählte u.a. die Popularmusik und die Bühnen- und Filmmusik. Die prozessorientierte Perspektive in der Kultur- und Musikforschung, die von der Bewegung Nova Difusão seit Mitte der 1960er Jahre gefordert wurde, zielte auf eine Überwindung des Denkens in abgeschlossenen Sphären oder kategorisierten Gegenständen der Betrachtung, was auch die Trennung von Kunst-, Popular- und Volksmusik betraf.  


Angesichts der öffentlichen Aufmerksamkeit und der Popularität von Festivals der Música Popular und Theateraufführungen in der zweiten Hälfte der 1960er Jahren in São Paulo wurde in der Forschung der Blick auf Komponisten für Bühnen- und Filmmusik gerichtet. Durch ihre Ausbildung und Berufstätigkeit überschritten sie Grenzen von Kunst- und Popularmusik. In São Paulo gab es mehrere ausgebildete Dirigenten, Komponisten und Arrangeure der Musikproduktion für Theater und Film. Die neuen Produktionen für Theater, die beim Festival „Arte prá frente“ in der Stiftung der Künste in São Caetano do Sul besprochen wurden, die Debatte um eine brasilianisch geeignete Realisierung  des Musicals Hair und vor allem die Überlegungen im Rahmen der Show Build up 1970/71 schärften das Bewusstsein für die Notwendigkeit, die Bühnen- und Filmmusik in einer kulturwissenschaftlich orientierten Ästhetik auf Hochschulebene eingehend zu berücksichtigen.


Die Diskussion im Bereich der Musikerziehung wurde zunehmend vom Gedanken der Polyvalenz geprägt, der schließlich 1973/74 zur Einführung der Kunsterziehung führte, die die Musikerziehung als Schulfach ersetzte. Die Studierenden der Musikerziehung – zum Teil langjährige Musikschullehrer, die der offiziell geforderten Aktualisierung ihrer Ausbildung nachkamen – mussten sich fortan während ihres Studiums auch den Visuellen Künsten und den Künsten der Bewegung, des Raumes und der Inszenierung widmen.


Die Auseinandersetzung in Forschung und Lehre mit bis dahin in Musikinstitutionen wenig beachteten Kunstformen erforderte die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen sowie Kenntnis von und Auseinandersetzung mit Tendenzen und Praktiken des Auslands, vornehmlich der USA und Europas.


Eine besondere Aufmerksamkeit galt u.a. der Arbeit von Herbert Baumann, eine der Musikpersönlichkeiten der Gegenwart in Deutschland, die bereits seit einigen Jahren im Zentrum für musikwissenschaftliche Studien der Bewegung Nova Difusão beachtet wurde. Er gehörte zu den Komponisten Deutschlands, die zwar in Lateinamerika wenig bekannt waren, jedoch in verschiedener Hinsicht von Bedeutung für das Musikleben Europas der Gegenwart erschienen. Entsprechend der Orientierung der Nova Difusão war die Aufmerksamkeit besonders auf die sozio-kulturellen Prozesse gerichtet, die die Musikproduktion bedingten oder von ihr beeinflusst wurden. Herbert Baumann war vor allem in Kreisen der Gitarristen bekannt, die wie Henrique Pinto (1941-2010) im Zentrum für Forschungen in Musikologie der Nova Difusão als Dozent mitwirkten.


Das Interesse für Baumann in São Paulo wurde auch dadurch geweckt, dass er sich vor seinen Studien am Internationalen Musikinstitut Berlin 1947 dem Studium der Architektur gewidmet hatte. Es wurde gefragt, inwieweit dieses Studium und die damit einhergehende Beziehung zum Raum und zum Visuellen seine Arbeit in Berlin begünstigt haben könnten. In Theaterkreisen in São Paulo war er durch seine Tätigkeit als Leiter der Bühnenmusik am Deutschen Theater Berlin und später am Residenztheater in München als eine leitende Persönlichkeit der Musikszene in Deutschland anerkannt.


Die besondere Beachtung von Baumann entsprach auch der Aufmerksamkeit für München, das durch die Spiele der XX. Olympiade, die vom 26. August bis zum 11. September 1972 stattfanden, mit den spektakulären Konstruktionen des olympischen Parks in Architekturkreisen besonders beachtet wurde.


Im Rahmen der Berücksichtigung von Baumann wurden zum Anlass eines Konzerts ästhetische Aspekte seines Schaffens am Beispiel seiner Musik für Klavier zu vier Händen (Toccata, Intermezzo und Variationen) aus dem Jahr 1950 besprochen. Dabei wurde auf die Bedeutung seines Studiums bei Paul Höffer (1895-1949) hingewiesen, dem Direktor des Internationalen Musikinstituts Berlin, der auch 1948 die Musikhochschule Berlins leitete. Das Werk wurde am 28. August 1971 am Forschungszentrum der Nova Difusão und 1973 an der Fakultät für Musik und Musikerziehung  aufgeführt und kommentiert.



Text basierend auf Niederschriften der Lehrveranstaltungen zu Musikästhetik und kulturwissenschaftlich orientierter Musikwissenschaft von A. A. Bispo an den Universitäten Bonn und Köln 2002-2008.

Text basierend auf Niederschriften der Lehrveranstaltungen zu Musikästhetik und kulturwissenschaftlich orientierter Musikwissenschaft von Prof. Dr. A. A. Bispo an den

Universitäten Bonn und Köln 2002-2008